20.07.2020

Transgenerationale Weitergabe

Was gebe ich an meine Kinder weiter?

Von Sabine Lück.

Seit 1994 beschäftige ich mich zusammen mit meiner Kollegin Ingrid Alexander mit transgenerationaler Weitergabe von Freud und Leid an nachfolgende Generationen. Teilnehmer:innen unserer Seminare fragen immer wieder danach, was sie tun können, um selber nicht das Leid ihrer Kindheit weiterzugeben. Können sie überhaupt etwas dagegen tun? 

Die Forschung geht ja inzwischen von einer genetischen Weitergabe transgenerationaler Erfahrungen aus. Epigenetik und Neuroplastizität bestätigen diese Erkenntnisse, aber auch die Tatsache, dass wir diese Anlagen durch neue Erfahrungen in unserem Leben verändern können. Als systemische Familientherapeutin beobachte ich immer wieder, wie sich Familienthemen über Beziehungsgestaltung weitergeben. Die daraus entstehenden Folgen für die Identitätsentwicklung eines Kindes werden über den von uns entwickelten Ansatz Generation-Code® sichtbar.

Mit Hilfe einer einfachen Frage kannst du erkennen, wie sich dein eigenes Lebensthema mit dem deines Kindes (oder zukünftigen Kindes) verbindet.

Nachdem du folgende Anweisung gelesen hast, nimm dir einen kurzen Moment Zeit, schließe deine Augen und schenke dir zwei Atemzüge… spüre in dich hinein und stelle dir diese Fragen:

Worin soll es mein Kind einmal besser haben als ich?

Was soll meinem Kind einmal besser gelingen als mir?


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Schreibe die aufgetauchten Antworten auf und frage dich selbst, was die Antworten mit deiner eigenen Wunde oder mit den Wunden deiner Eltern zu tun haben könnten. Du wirst überrascht sein, wie logisch dir dieser Zusammenhang nun erscheint. Unsere Kinder sollen es einmal besser haben als wir… Damit übertragen wir gleichzeitig unser Leid, das Kind nimmt unsere unerfüllten Sehnsüchte, unsere nicht erreichten Ziele, unser Streben und unsere ungelebten Themen auf. 

In der Entwicklung unserer Arbeit haben wir den sogenannten “Archaischen Grundkonflikt” des Menschen entdeckt, der einerseits aus existentieller Abhängigkeit und dem Drang, Leben zu wollen, und andererseits dem Wunsch nach individueller Entfaltung und Streben nach Autonomie besteht. 

Mit einem Treuevertrag glaubt das Kind, eine scheinbare Lösung für diesen Konflikt gefunden zu haben und opfert dafür seine eigene Entwicklung. Es tut alles dafür, die Eltern für erlittenes Leid zu entschädigen, um sie zu reifen, starken Eltern zu machen, von denen man sich irgendwann lösen und sein eigenes authentisches Potenzial entwickeln darf. Da aber die Rückwärtsversorgung nur begrenzt gelingen kann, bleibt es ein Leben lang in der „Elternrettung“ stecken.


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So hast auch du als Kind einen solchen Vertrag mit deinen Eltern geschlossen und diese wieder einen mit den ihren. Auf diese Weise entsteht eine in ihrer eigenen Logik sinnvolle Weitergabe des Familienthemas. Ein Code für die väterliche Seite, und einer für die mütterliche Linie. Jedes Kind hat seinen individuellen Code, da auch die Geschwisterposition und das Geschlecht eine Rolle spielen.

Mit einem Genogramm kannst du schnell solche Familienthemen erkennen. Wiederholungen von Trauma und Schicksalsschlägen sind hier offensichtlich. 

Doch wie können wir diese Weitergabe beenden?

Mit dem Erkennen von Verhaltensmustern, die über Generationen übernommen wurden, können wir unsere Haltung in aktuellen Beziehungen besser reflektieren und einen freien Blick auf unsere Kinder bekommen. Er ermöglicht uns, unterscheiden zu lernen, welche Lebensziele wirklich unsere sind und was wir zur Heilung unseres Familiensystems übernommen haben.  

In meinem Intensiv-Seminar Das Erbe deiner Ahnen zeige ich, wie der Treuevertrag entschlüsselt werden kann und welche Heilungsschritte notwendig sind, um über eine „Versorgung“ der Ahnen Heilung ins System zu bringen. So gelingt eine Auflösung des Vertrages und der Identitätsblockierung, die sich dann auch auf befreiende Weise auf nachfolgende Generationen auswirken wird. Wir brauchen unsere Kinder dann nicht mehr für uns und unsere Bedürfnisse. Wir müssen sie nicht mehr formen und bedrängen, sondern können ihnen geben, was sie von uns brauchen, um die zu werden, die sie wirklich sind.