07.01.2022

Rosa World Wide

Ein Artikel von Heidy Rosa Müller

Kinderheim im buddhistischen Kloster im Himalaya

Wie die Jungfrau zum Kinde kam, kam ich zu einem Kinderheim.

Es war Neujahr 2012. Ich hatte eine lange Auszeit geplant. Meine Idee war es, zum vierten Mal nach Tibet zu reisen und anschließend in Kanada einen Sprachaufenthalt zu absolvieren. Doch dann bekam ich zu meiner eigenen Sicherheit kein Visum für Tibet.

Da saß ich nun mit dieser Reiseabsage Zuhause und erinnerte mich vage an einen Facebook-Kontakt mit einem tibetischen Mönch, welcher an einem fernen Ort namens Sikkim ein kleines tibetisches Kloster auf Vordermann bringen sollte. Dem Internet sei dank. Unter meinen vielen Kontakten fand ich diesen Mönch bald. Ich schrieb ihm meine Situation und fragte, ob ich für einen Monat nach Sikkim in sein Kloster reisen dürfe. Er hieß mich willkommen und so reiste ich alleine ins ferne, ehemalige Königreich Sikkim im Himalaya.

Mitten in der Nacht kam ich im Kloster in Sikkim an und bezog sogleich mein Zimmer. Am nächsten Morgen hörte ich dumpfes Trommeln aus dem Tempel und alsbald klopfte es leise an meiner Zimmertüre. Vor meinem Zimmer standen drei kleine herzallerliebste Jungs in Mönchsbekleidung. Einer trug ein Tablett mit einem Buttertee für mich. Ich bat die drei in mein Zimmer. Bevor ich es sagen konnte, hatten sie bereits ihre Sandalen ausgezogen und staunten mich an. Ich bat sie, sich auf die Couch zu setzen und sah sofort da und dort eine Schramme und einen Kratzer, welche verarztet werden wollten. Als Medizin gab es für jeden einen Kaugummi.

Mein Mamaherz wurde im Sturm erobert und ich war dann einen ganzen Monat in diesem kleinen Kloster. Nach einem Monat gab es einen herzzerreißenden Abschied. Ich musste ja in meine bereits bezahlte Sprachschule nach Kanada weiterziehen. Eigentlich hatte ich geplant, anschließend nach Montana USA weiterzureisen und dort ein paar alte offene Rechnungen mit sehr viel Wut im Bauch wegen eines Heiratsschwindlers abzuschließen...

In Kanada bei meiner Gastmutter entschied ich mich, meine Montana Rachepläne fallen zu lassen, beziehungsweise rächte ich mich genussvoll per E-Mail, aber das ist eine ganz andere Geschichte, und wieder zurück nach Sikkim zu gehen. So reiste ich für weitere zwei Monate zurück in den Himalayastaat mit zwei riesengroßen Koffern voller warmer Kleider und Medikamenten. Ich bekam recht Einblick, was in diesem kleinen maroden Kloster alles schief lief. Rinpoche aus Tibet hatte den Auftrag von seinem alten Lehrer in Nepal gefasst, dieses Kloster auf Vordermann zu bringen. Durch den Klostervorstand und die Korruption war es zum Verzweifeln. Ich legte mich mit dem Kloster internen Englischlehrer an, welcher die Kinder schlug, und reiste in die Hauptstadt zum Vorstandsvorsitzenden... völlig naiv, aber mit einem Löwinnenherz. Es war aussichtslos.

Glück im Unglück. Rinpoche hatte einen reichen russischen Schüler. Dieser finanzierte ein paar Kilometer weiter den größten Teil des Neubaus eines Klosters und stellte einen festen Betrag zur Verfügung. Den Rest musste Rinpoche selbst aufbringen. Rinpoche kümmerte sich darum, dass die Kinder des alten Klosters mit ihm mitziehen konnten und ich begann, Spenden zu sammeln. Wir finanzierten vom ersten Tage an alle Jungs im neuen Kloster.

Noch bevor das Kloster und Jungenheim fertig gebaut war, hatte ich in Nepal beim Blick in die Augen einer misshandelten Frau die Vision, dass ich in Sikkim ein Mädchenkinderheim zu Ehren dieser geschundenen Frau und ihren Töchtern bauen würde.

Mein neuer Geliebter fand die Idee schön und finanziell unrealistisch. Neun Monate später wurde ich von einer Schweizer Stiftung angefragt, ob ich mein Projekt mit SWOT Analyse und Businessplan vortragen möchte. Die SWOT Analyse und den Businessplan machte mein Liebster, ich trug den emotionalen Teil vor. Wir bekamen die Zusage für den Bau des gesamten Mädchenkinderheimes.

2022 feiern wir 10 Jahre Kinderheim Sikkim.

Inzwischen leben im Kloster Kinderheim rund 70 Kinder, je zur Hälfte Mädchen und Jungen. Wir haben einen Verein gegründet und sind steuerbefreit. Die Spenden kommen zu 100 % in Sikkim an. Wir bezahlen alle unsere Auslagen wie unsere Reisekosten privat.

Durch Corona und die Diagnose meiner Krebserkrankung, welche fast ausgestanden ist, war ich nun schon drei Jahre nicht mehr selbst vor Ort. Ich hoffe, im Oktober 2022 wieder für einen Monat nach Sikkim zu reisen.

Weitere Informationen findest du unter www.rosaworldwide.ch.

Manchmal geschehen wirklich Wunder.

Kinderheim Sikkim